Christliche Gemeinde!
Liebe Brüder und Schwestern!
Es gibt kaum eine Erzählung, die so bekannt ist wie die Erzählung vom verlorenen Sohn. Sie ist auch sehr viel in der Malerei dargestellt worden. Ich erinnere mich: Im Schottenstift gibt es ein sehr schönes Gemälde: der Zyklus „Der verlorene Sohn“ in einigen Bildern, in denen man das nachvollziehen kann.
Rembrandt hat das großartige Bild geschaffen vom Vater, der den verlorenen Sohn umarmt, der kahlgeschoren wie ein Sträfling barfüßig vor ihm kniet, und die beiden bilden eine Einheit, und der ältere Bruder steht daneben, ist gleichsam aus diesem Kreis ausgeschlossen. Er kann nicht Gemeinschaft mit diesen beiden mehr haben.
Wenn man dieses Gleichnis genauer durchdenkt, ist es genauso unlogisch in vieler Hinsicht wie eigentlich jedes Gleichnis. Und wenn man Gleichnisse in Einzelzügen betrachtet, dann werden sie sinnlos. Ein Gleichnis ist nicht ein Vergleich. Ein Vergleich ist etwas sofort Einsichtiges. Die Predigt zieht sich "wie ein Strudelteig", zum Beispiel. Dann weiß man, dass es langweilig ist. Ja? Aber, ich muss keine moralische Folgerung daraus ziehen.
Aber aus diesen Erzählungen, die so kunstvoll aufgebaut sind, muss am Schluss herauskommen: Wo stehst du eigentlich in dieser Erzählung? Wer bist du? Bist du der Vater, der verzeihen kann, auch wenn die Kinder ganz anders sind und davon laufen, unverständlich agieren? Bist du der jüngere Sohn, der einen neuen Weg einschlagen kann, wenn er sich verrannt hat, oder trotzig bis zum bitteren Ende das durchzieht? Bist du der ältere Bruder, mit dem wir uns alle gerne vergleichen? Denn wir sind geblieben. Wir haben versucht, den Willen Gottes zu tun. Wo bist du eigentlich oder hast du von allem ein Stück auch in dir selber?
Es ist ein Gleichnis, kein Vergleich, sondern auf Griechisch wird das Parabel genannt. Was ist eine Parabel? Am besten ist es, wenn wir uns das dinglich vorstellen wie einen Parabolspiegel. Jeder mit einer Fernsehantenne wird das kennen. Die Schüssel ist ein Parabolspiegel. Das heißt, es wird alles auf einen einzigen Punkt zusammengefasst. Ein normaler Spiegel ist diffus. Da wird alles abgebildet. Ein Parabolspiegel hat nur einen Brennpunkt.
Und genauso ist es hier. Diese Erzählungen haben alle einen Brennpunkt. Und, wenn man einzelne Züge herausnimmt und verselbstständigt, werden sie sinnlos. Was wäre denn gewesen, wenn der jüngere Sohn zuhause geblieben wäre und zuhause sein Vermögen verprasst hätte? Sich die Dirnen, Huren nach Hause eingeladen hätte vor den Augen des Vaters? Der ganze Betrieb wäre "den Bach runter gegangen". Was wäre denn gewesen, wenn der tüchtige, der ältere in die Ferne gegangen wäre und dort einen eigenen Betrieb aufgebaut hätte und der jüngere zuhause geblieben wäre, alles kaputt gegangen wäre? Das ist wohl nicht der Sinn des Gleichnisses.
Der erste Brennpunkt ist ganz eindeutig auf Gott bezogen. Gott vergisst sich selbst, wenn Sünder zum Ihm kommen. Gott läuft dem Sünder entgegen. Das ist eigentlich ein ungeheures Bild. Es ist schon ungeheuerlich, wenn ein Orientale, ein alter Mann zu laufen beginnt. Da verliert er ja seine Würde. Er vergisst sich selbst. Gott vergisst sich selbst, wenn Menschen zu Ihm zurückkommen wollen. Da gibt es für Ihn gleichsam kein Halten mehr. Gott möchte mehr, dass wir zu Ihm kommen, als wir das jemals verstehen werden. Der letzte Ausdruck ist das Kreuz dafür. Das ist der erste Brennpunkt: der Vater und der Sohn. „Mehr Freude ist im Himmel, wenn ein Sünder kommt, als wenn Hunderte da glauben, sie brauchen nicht zu Gott kommen.“ Zur Umkehr.
Und was ist der zweite Brennpunkt? Der ältere Sohn. Ich glaube, das ist etwas, was jeder von uns auch nachvollziehen kann. Es ist das Gefühl der Verbitterung, das viele Menschen haben, weil sie glauben, dass sie im Leben zu kurz gekommen sind. Wie viele Menschen glauben, dass das "Schicksal" sie ungerecht behandelt hat, dass sie nicht fesch genug sind, wenn sie jugendlich sind, im Alter vergeht das, dass sie nicht ordentlich behandelt werden, sowie man sich das erwartet, dass sie einfach zu kurz gekommen sind. Anderen ist es besser ergangen.
Und dieses Gefühl: Ich muss doch einmal auf meine Kosten kommen. Wieso muss ich eigentlich immer nur Pflichten erfüllen? Warum ist das so, dass der Sünder scheinbar angenehmer und besser weiter kommt - und "ohne Gewissen lebt’s sich besser", als wenn ich ein Gewissen habe. Kann das wirklich richtig sein? Das ist diese Verbitterung, das viele Menschen auch gerade im Alter haben, wenn sie den Eindruck haben: Sie sind zu kurz gekommen.
Und da kommt dieser großartige Satz des Vaters, der sagt: „Mein Kind du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein.“ Das hat der Sohn bis dahin nur nicht kapiert. Vielleicht hätte ihm der Vater öfters auch ein Ziegenböcklein geben können, damit er früher drauf kommt, aber im Grunde ist er immer bei ihm gewesen. Und ich glaube, man sollte auch einmal nachdenken, was uns allen schon geschenkt worden ist. Und das muss jeder für sich entscheiden.
Ich denke mir, wenn dann Leute so kommen, ihr Leben ausbreiten, im Glauben in der Beichte, dann sage ich: „Sie haben doch ein riesiges Glück, dass Sie die Gnade des Glaubens haben.“ Die Gnade des Glaubens. Wie viele Menschen haben das einfach nicht mehr und tun sich schwer. Und wir können immer wieder zurückkehren. Wir können immer wieder zu unserem Vater zurückkehren, uns das immer wieder sagen lassen, wie Gott uns eigentlich behandelt: dass er sich vergisst, wenn wir kommen.
Und darum ist auch heute das Wort von der Versöhnung in dem Lesungen. „Lasst euch mit Gott versöhnen.“ Es geht darum, dass der Mensch versöhnt wird. Übrigens „versöhnt“ kommt nicht von dem Wort „Sohn“ sondern von dem Wort „Sühne“, die Sühne, die für uns schon geleistet worden ist. Aber, weil diese Sühne durch Christus schon geleistet worden ist, werden wir Söhne und Töchter Gottes.
Es kommt darauf an, dass der Mensch versöhnt ist mit Gott, mit dem Nächsten und auch mit sich selbst. Viele Menschen sind sich gegenüber wahnsinnig unversöhnlich. Sie können sich vieles nicht verzeihen. Man muss aber auch da einen Schlusspunkt machen. In den Psalmen heißt dieses großartige Wort: „Du warfst meine Sünden hinter Deinen Rücken.“ Das ist großartig. „Du warfst meine Sünden, Gott, hinter Deinen Rücken.“ Sie gehen dich und mich nichts mehr an. Das ist das Geheimnis einer guten Beichte.
Und, wenn wir diese Umkehr geschafft haben, die ein Leben lang sich vollzieht..., wir wünschen uns oft die Erlösung auf Knopfdruck. Einmal muss das sein und dann brauchen wir nichts mehr tun. Das ist ein Hineinwachsen. Umkehr heißt: immer wieder auf den Weg zurück zu sein, zurück zum Vater, der uns erwartet. „Mein Kind du bist immer bei mir und was mein ist, das ist auch dein.“
Amen.
Abschrift der Homilie von P. Bonifaz Tittel OSB
für die Eucharistie feiernde Gemeinde in Breitenlee
6. März 2016 – 4. Fastensonntag LJC
L1: Jos 5, 9a.10-12
L2: 2 Kor 5, 17-21
Ev: Lk 15, 1-3.11-32